Freitag, 15. November 2013

Wie hat Tansania mich verändert?


  • Kapitalismuskritikerin war ich ja schon vor meinem Aufenthalt in Tansania. Mit eigenen Augen zu sehen, welche Folgen unser Konsumverhalten und die unterdrückende Wirtschaft der Industriestaaten auf andere Länder, Menschen und ihre Umwelt hat, lässt mich allerdings momentan täglich reflektieren, wie mein (Kauf)verhalten sich vielleicht negativ auf Menschen nicht nur in der südlichen Hemisphäre auswirken kann. Dass unser Wohlstand darauf beruht, dass viele, viele Menschen auf der Welt in Armut leben, war mir schon vorher bewusst. Menschen kennenzulernen, die in Armut leben, die ich dadurch mit zu verantworten habe, dass ich die westliche kapitalistische Gesellschaft mit meinem Konsum unterstütze, lässt mich mein Handeln noch mehr überdenken und ändern. Natürlich kann jede und jeder nur ein kleines bisschen dazu beitragen, aber jedes kleine bisschen ist besser, als das System weiter zu fördern und vielleicht schaffen wir es doch irgendwann in einer gerechteren Welt zu leben.
  • Mein komplettes Weltbild, meine Normen, also, das, was für mich „normal“ war, hat sich verschoben. Als Weiße unter schwarzen Menschen zu leben, lässt erahnen, wie sich people of colour in z.B. Deutschland fühlen; ist aber letztendlich doch überhaupt nicht damit zu vergleichen, weil ich als Weiße keinem Rassismus ausgesetzt bin, höchstens einer Andersbehandlung, bei der man schlecht von Diskriminierung sprechen kann, weil sie in den meisten Fällen auch noch positiv ausfällt oder zumindest oft so gemeint ist. Ich habe gemerkt, dass ich dort in erster Linie als Weiße gesehen werde und erst in zweiter Linie als Frau – aber dazu komme ich später noch. Mit Normenverschiebung meine ich, dass ich nach ein paar Tagen und Wochen nicht mehr als erstes am Äußeren eines Menschen seine Hautfarbe gesehen habe, sondern andere Merkmale. Das hat sich hier in Deutschland leider wieder geändert, trotzdem habe ich nicht mehr eine solche Distanz zu schwarzen Menschen im Alltag, wie sie sonst häufig automatisch aufgrund des Andersseins entsteht und sich in unserer heutigen Gesellschaft leider, glaube ich, kaum vermeiden lässt, weil sie uns ansozialisiert ist. Meine Normenwelt hat sich deshalb verschoben, weil mir klar geworden ist, dass für den Großteil der Menschheit der westliche Alltag, in dem wir leben, unser Reichtum, unsere Gesundheitsversorgung und Bildung eben nicht normal sind, sondern ein Privileg, das uns geschenkt wurde. Mein Horizont wurde buchstäblich erweitert, weil ich eine andere Kultur und Lebensweise kennengelernt habe und so ein vielfältigeres Bild der Welt habe.
  • Als Feministin war es für mich nicht so leicht anzusehen, dass es in Tansania noch klarere Rollenverteilungen zwischen Mann und Frau gibt und Stereotype noch viel fester als bei uns verankert und akzeptiert sind. Leider hatte ich die ganze Zeit dort fast ausschließlich mit Männern zu tun, sodass ich nicht oft mit Frauen Gespräche über solche Dinge hatte. Witzigerweise waren die beiden Akademikerinnen, die ich neben den Ärztinnen kennen gelernt habe, Studentinnen bzw. Masterabsolventinnen der Gender Studies in Dar Es Salaam und auch, wenn sie sich nicht als Feministinnen bezeichnet haben (ja, dieses Wort ist auch dort negativ konnotiert), haben sie durchaus feministische Meinungen vertreten und den hohen Bedarf an Gleichstellungspolitik und Aufklärung für Frauen über ihre Rechte in Tansania bestätigt. Das habe ich selbst bei vielen Gesprächen mit Männern erlebt, die der Meinung waren, Frauen sollten nicht arbeiten (Hausarbeit sei keine Arbeit, sondern Hobby/Freizeit), zumindest nicht, wenn sie verheiratet sind bzw. heiraten wollen; dass es normal sei seine Ehefrau zu schlagen (angeblich denkt sie sogar, der Mann liebe sie nicht, wenn sie nicht geschlagen würde) und dass die Kindererziehung natürlich Frauensache ist. Generell hat die Ehe dort einen sehr hohen Stellenwert. Eine verheiratete Frau hat eine viel höhere Position in der Gesellschaft als eine alleinstehende Frau. Theorien wie Queer Feminismus muss man gar nicht erst versuchen zu erklären – sogar hier in Deutschland können ja viele den Gedanken, dass es viel mehr Unterschiede zwischen Menschen, als zwischen Männern und Frauen gibt, nicht nachvollziehen... Ich hatte das Gefühl, dass ich selbst weitestgehend von diesen Rollenbildern ausgenommen war, eben weil ich zunächst als Europäerin (Mzungu) wahrgenommen wurde und erst in zweiter Linie als Frau. Die westliche Gesellschaft ist dort natürlich durch TV und Internet bekannt und somit auch klar, dass ich „anders“ bin als tansanische Frauen und somit auch leider andere „Rechte“ habe. Man sieht auch selten gemischte Gruppen von Frauen und Männern, sondern meist reine Männergruppen, Frauengruppen oder Pärchen/Familien. Abends sind ohnehin nur Männer auf der Straße (auf meine Frage warum, hat man mir geantwortet, sie müssten sich um die Zeit um Haushalt, Essen und Kinder kümmern). Auf Sansibar waren alle einheimischen Frauen fast ausnahmslos verhüllt – mindestens mit Kopftuch und Burka (langes Gewand), sehr häufig auch mit Ninja (Gesichtsbedeckung). Einheimische Frauen habe ich dort auch äußerst selten im Meer schwimmen sehen.
  • Ein Gespräch, dass mir ebenfalls gezeigt hat, dass meine Normalität für viele Menschen keine Realität ist, war das mit der Assistenzärztin Maryam, die erzählt hat, dass sie nach ihren A-Levels (Abitur) verheiratet wurde, dann zwei Kinder bekommen hat und erst danach ihr Medizinstudium fortsetzen konnte. Dass es eine Art von arranged marriage gibt, die nicht erzwungen und die eine starke Frau offen vertreten und verteidigen kann, war mir bis zu dem Zeitpunkt nicht klar. Maryam war sehr überzeugt davon, dass es so gut wie nur Vorzüge hat eine Partnerschaft ohne Gefühle zu starten (sie meinte, dass sie später natürlich auch Gefühle zwischen einander ausbilden) und dass es in ihrem Kulturkreis (ihre Vorfahren lebten in Indien und sie ist Muslima) keine Partnerschaften ohne Ehe gibt.
  • Religion spielt in Tansania eine wahnsinnig wichtige Rolle. Egal, ob Christentum, Islam oder Buddhismus – die Menschen in Tansania leben ihre Religion viel stärker aus als in Deutschland, der Alltag ist von ihr geprägt und beeinflusst die Menschen enorm. Die Musik ist von religiösen Motiven geprägt, man hört viel Gospel oder arabische Lieder, die Gesänge der muslimischen Gebete ertönen täglich mehrmals aus den Lautsprechern der Moscheen und sonntags finden sich die meisten Christen in ihren Kirchen ein. Auf Sansibar hatte ich ein Gespräch mit einem Healt Care Worker, der sich gerne keine Politik, sondern einen Religionsstaat gewünscht hätte. Bei genauerer Nachfrage, wie der Staat ohne Politik denn dann funktionieren soll, kam allerdings keine Antwort mehr. Ich denke es ist zum Teil auch dem arabischen Einfluss anzurechnen, dass es einen starken Antiamerikanismus in einigen gesellschaftlichen Bereichen gibt. Der Besuch Obamas hat das wohl zum Teil noch verschlechtert (siehe unten).
  • Anhand des religiösen Einflusses auf die tansanische Gesellschaft, kann man sich ausmalen, wie es mit der Toleranz von Homosexualität aussieht: Sie liegt so ungefähr bei Null. Ich hatte mehrere Gespräche über das Thema, u.a. mit dem Chefarzt der Chirurgie im AKH über die Legalisierung der Homo-Ehe, das er nach einer Unterhaltung über den demographischen Wandel mit dem Kommentar begonnen hat: „Well, I think in the future there will be no children anymore, since it is legal now for gays to marry“, was Leon, der andere deutsche Student auf Station, und ich schon als sehr absurde These empfanden. Die Diskussionen enden leider häufig bei dem Argument, dass es eben im Koran / in der Bibel stünde. Und über Glaube kann man leider schlecht diskutieren.
  • Obwohl ich in der Zeit meine politischen und sozialen Tätigkeiten leider halbswegs ruhen lassen musste (trotz Bundestagswahl...! L), habe ich dort erneut gemerkt, warum ich für eine bessere Gesellschaft kämpfe und dass sicher dieses Engagement auch lohnt. Ich habe viele tolle Projekte und NGOs kennen gelernt, die ich definitiv im Hinterkopf haben werde, wenn ich mal Mittel oder Engagement nach Tansania vermitteln kann oder mich selbst aktiv dort einbringen möchte. Unter anderem werde ich bei einer NGO, die ein Krankenhaus in Nungwi (eine Stadt im Norden Sansibars) bauen will, und bei der NGO ‚Embrance Zanzibar’ von Ally, die einige (Sport)Projekte auf Sansibar sowie ein Reisebüro in Stone Town unterhält, je nach Zeit und Energie mithelfen.
  • Ein großer Punkt ist natürlich, dass ich den Wohlstand, in den ich hier hineingeboren wurde, noch mehr schätzen kann und gemerkt habe, dass ich viele Dinge, die ich mir hier leiste bzw. geschenkt bekomme, nicht wirklich brauche und sie anderen Menschen auf der Welt eher schaden können. Kurz nach meiner Rückkehr bin ich ständig mit einem schlechten Gewissen durch die Stadt gelaufen und konnte den Luxus, den ich hier habe, überhaupt nicht genießen. Ich hatte oft Flashbacks, bei denen ich im Geiste das Frankfurter Stadtbild, mit dem von Dar Es Salaam oder anderen Städten in Tansania verglichen habe.
  • Der Name meiner Lieblingsstadt dort „Bagamoyo“ heißt übersetzt „Lege dein Herz nieder“ und obwohl diese Bedeutung eigentlich einen sehr negativen Aspekt hatte (siehe mein Post zu Bagamoyo unten), kann ich sagen, dass ich selbst einen Teil meines Herzens in Tansania gelassen habe. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt, meine Zeit wirklich genossen und weit mehr glückliche Momente gehabt als negative Erfahrungen. Ich werde mich auch in Zukunft mit diesem Land und seinen Menschen verbunden fühlen und auf jeden Fall zurückkehren.
  • Eines haben mir die drei Monate in Tansania aber auch gezeigt: Dass ich viele Freundinnen in Deutschland habe, die an mich denken, mich vermissen und darauf warten, dass ich zurückkomme. Die vielen lieben Nachrichten, die ich bekommen habe, haben mir viel bedeutet und mich sehr glücklich gemacht und ich bin unendlich froh so viele liebe Menschen zu kennen und so geschätzt und geliebt zu werden! Vielen Dank an meine Liebsten! <3

Last but not least form my English (or Kiswahili)-speaking rafiki (friends) in Tanzania:
Asante sana for the best time i had in my short live till now! I got to know so many nice people, had a hundred moments of joy and happiness and already miss you all a lot. I want to thank you for the great experience I had the privilege to enjoy – you all have been a big part oft hat and without you, my time would have been not as rewarding as it was! I learned much more for my life than I could ever learn in any university and I hope one day I can give you and your country back what you gave me in those three months!

Special thanks to:
  • Sidaz, Mufti, Abdul and the whole Baobab Studio in Bagamoyo
  • Kevin, Agatha and the surgery team at Aga Khan Hospital Dar Es Salaam with Mukasa, Jimmy, Maryam, Chemere, Jacinta, Patrick and Tarek for the help with my application
  • Ally, Alex, Daniel, Abdullah, Manduly, Lydia in Zanzibar and the ENT team of the Mnazi Mmoja Hospital with Dr Naufal, Dr Mwanana and Nassor!
  • Und natürlich Danke an meine Eltern, die mir eine unvergessliche Safari mit ihnen ermöglicht haben! Dicker Kuss!!

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