Durch mein Interesse für Politik habe ich seit meiner Ankunft in Tansania darüber nachgedacht, wie die Zukunft Tansanias aussehen könnte, welchen Weg dieses Entwicklungsland einschlagen wird.
Letztendlich sollte es in unserem Interesse sein, dass jeder Mensch auf der Welt den gleichen Wohlstand, zumindest eine gleich gute Gesundheits- und Altersversorgung sowie Bildung (eben das, was die westlichen Länder und Großmächte in der UN-Charta als Menschenrechte definiert haben) genießen kann. Es ist nicht möglich, dass alle Menschen der Welt unseren Lebensstil pflegen, da unsere Erde nicht genug Ressourcen beherbergt um diesen 'Wegwerf-Stil' und unser 'Luxusleben' zu ermöglichen. Meine Gedanken dort kreisten also vor allem darum, was ich als obligat für ein glückliches Leben erachte, was für mich wirklich wichtig ist und im Gegenzug, welche Dinge Luxus sind, auf den wir eigentlich verzichten können und sollten.
Tansanias Weg war steinig...
Ein Land, dass zunächst seiner stärksten und besten Männer, Frauen und Kinder beraubt wurde, die als Sklavinnen und Sklaven in die ganze Welt verschifft wurden, sofern sie die Tortur der "Reise" überlebten, wodurch Familien auseinander gerissen wurden und ganze Gegende ihre Arbeitskräfte verloren...
...ein Land, das dann lange Zeit von Arabern beherrscht wurde, die ihre Sprache, Kultur und Religion mit nach Ostafrika brachten und bis heute großen Einfluss und Macht haben...
...ein Land, das schließlich von Europäern (Deutschen und Briten) als Kolonialmacht beherrscht und ausgebeutet wurde, die ihre "Rasse" immer als die Überlegene ansahen, und die tausende Männer und Frauen ermordeten und in ihren Kriegen als Askari-Soldaten opferten...
...ein Land, das nun überrannt wird von ausländischen Firmen, deren Heimatländer weder Sklaverei noch Kolonialismus den Weg zu Industrieländern erschwerten und die nun Boden, Immobilien oder gar ganze Bergwerke und Inseln kaufen, sodass die Bewohnerinnen und Bewohner des Landes allerhöchstens als billige Arbeitskräfte oder wenigstens als Konsument*innen dienen sollen...
...ein solches Land hat keine Chance heute einen solchen Wohlstand zu genießen, wie wir ihn in Deutschland gewohnt sind. Uns muss klar sein, dass unser Wohlstand auf dem Leid und der Armut anderer gewachsen ist und immernoch wächst und dass es diesen Ländern nie so gut gehen wird wie uns, wenn wir diese Entwicklung weiter unterstützen.
Ich glaube die größten Baustellen in Tansania sind, wie wahrscheinlich in den meisten Entwicklungsländern: Bildung, Gesundheitsversorgung und Infrastruktur (Straßen, Elektrizität, Müllentsorgung...)
BILDUNG
Da Tansanias Bevölkerung aus über 120 Tribes ('Stämmen') besteht, die erfreulicherweise teilweise noch ihre Kultur und Sprache pflegen, ist nicht gewährleistet, dass alle Tansanier*innen Kiswahili sprechen, geschweige denn Englisch. Dies betrifft natürlich weniger die Großstädte, wo sich Entwicklung, Bildung und Reichtum schneller kummulieren.
Wenn es nicht einmal selbstverständlich ist, dass allen Menschen durch die Schulbildung die Nationalsprache beigebracht wird, kann man sich vorstellen, wie es um die Allgemeinbildung steht.
Ein großer Haken am Schulsystem ist, dass die Primary School auf Kiswahili, die Secondary School jedoch komplett auf Englisch unterrichtet wird. Das bedeutet, dass Kinder, die in der Primary School nicht genügend Englisch gelernt haben, entweder gar nicht erst zur Secondary School zugelassen werden oder sie verstehen im Unterricht nicht viel.
Das Schulgeld beträgt rund 30 000 TSh (ca. 15 €) pro Monat. Wer es nicht bezahlen kann, darf nicht zur Schule gehen.
Das krasseste Erlebnis, das ich in Sachen Bildung hatte, war der Besuch eines Massai-Dorfes auf dem Weg zum Ngorongoro-Krater mit meinen Eltern. Die Menschen dort leben ausschließlich von ihren Rindern und Ziegen und dem wenigen Geld, das Touristen ihnen für Massai-Schmuck und als Spenden da lassen. In diesem Dorf haben wir eine "Schule" (nursery school, also eher Kindergarten) besucht, die aus einem mit Stöcken abgesteckten Raum bestand, in dem ca. 15 schmutzige in zerissene Klamotten gekleidete Kindergartenkinder saßen und uns "Jambo" vorsangen. Die Kinder dort lernen Kiswahili und etwas Englisch und nur sehr wenige können später auf eine mehrere Kilometer entfernte Schule gehen, zu der sie dann jeden Tag laufen müssen.
Ein solches Leben schadet zwar der Umwelt und anderen Menschen nicht, so wie es unser Lebensstil tut (das kann leider niemand abstreiten), ist aber sicherlich in solcher Armut auch kein Weg zum Glücklichsein.
So denke ich also darüber nach, wie wir ein Leben führen können, das uns glücklich macht und in dem wir uns verwirklichen können und das trotzdem unserer Umwelt und anderen Menschen keinen Schaden zufügt.
Für Tansania ist es sicherlich nicht Ziel eine industrielle Entwicklung durchzumachen, wie die heutigen Industrieländer, da diese schließlich in unserem heutigen kapitalistischen System geendet ist und andere Länder mit hineingezogen hat. Tansania muss einen Weg heraus aus der Armut finden, der nicht im Kapitalismus endet, sondern alle Menschen am Reichtum des Landes teilhaben lässt und die Umwelt nachhaltig schützt.
GESUNDHEITSSYSTEM
Von Gesundheitsversorgung im westlichen Stil kann bei den Massai-Dörfern, wie wir eines besucht haben, keine Rede sein. Hier wird 'local medicine' angewandt, es gibt traditionelle Heiler und keine Kliniken; die Massai, mit denen wir gesprochen haben, glauben nicht an Schulmedizin.
Auch der starke Einfluss von Religion zeigt sich nicht immer hilfreich in Sachen Gesundheitsversorgung, wie mein Beispiel mit der Frau zeigt, die zunächst wochenlang gebetet hat, um ihre Unterschenkelfraktur zu heilen und sich erst danach der Operation unterzog, weil das Beten keine Linderung ergab.
Auf Sansibar gibt es ein großes Outreach Program, bei dem Ärztinnen, Ärzte, Schwestern, Pfleger und health care worker zusammen mit medizinischer Ausrüstung auf die Sansibar umgebenden Inseln und in die peripheren Städte außerhalb Stone Towns fahren. Dort werden Check Ups gemacht und die Bevölkerung wird, so gut es geht, mit Medikamenten, Brillen etc. versorgt.
Man kann sagen, dass die medizinische Versorgung in den Städten Tansanias natürlich nicht brilliant ist, so wie in Deutschland, aber sie ist einigermaßen ausreichend. Höchst mangelhaft und geradezu beunruhigend sieht die medizinische Versorgung hingegen auf dem Land aus.
Gedankensprung
Es ist wirklich erstaunlich, dass scheinbar doch die Bereitschaft zu helfen mit der Armut steigt. Ich habe hier häufig beobachtet, wie Bettlern oder Straßenkünstlern Geld gespendet wurde, viel häufiger als bei uns. Auch habe ich viele Menschen getroffen, die sich engagieren und "der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen", wobei ich diese Formulierung schwierig finde, da sie selbst oft nur wenig besitzten.
Andererseits scheinen höfliche Gesten, wie dem anderen den Vortritt zu lassen oder ein Stück weiterrücken, damit sich ein Pärchen nebeneinander setzen kann, eher selten zu sehen. Höflichkeit, zumindest so, wie wir sie definieren, ist wohl, so wie die Philosophie, ein Luxusgut.
INFRASTRUKTUR
Tansania hat definitiv ein Müll-Problem! Meistens wird der Müll einfach zusammengekehrt, in ein Erdloch geschüttet und angezündet. Dadurch gelangen bestimmt etliche Gifte in den Boden, in das Grundwasser und die Luft und vergiften somit nicht nur Menschen in der direkten Umgebung, die den beißenden Qualm einatmen, sondern auch die Lebensmittel, die im umgebenden Boden angebaut werden bzw. diese selbst als Nahrung nutzen, wie die Hühner und Ziegen. In den Städten gibt es private Müllentsorger, die gegen Bezahlung den Müll abholen und etwas weiter von der Stadt entfern sicherlich nicht viel anderes damit machen, als ihn einfach zu verbrennen.
Auf Sansibar sind glücklicherweise immerhin die schwarzen Plastiktüten verboten, die man bei jedem Einkauf doppelt und dreifach ausgehändigt bekommt. Auf den umgebenden Inseln, wie bspw. Tumbato, sieht es aber Müll-mäßig trotzdem furchtbar aus. Die Menschen dort leben noch viel traditioneller als auf Unguja (Hauptinsel Sansibars), bleiben aber leider von den importierten Plastikprodukten nicht verschont, für die es keine Müllentsorgung gibt.
Ein Mann im Aga Khan Hosiptal in Dar Es Salaam hat etwas gesagt, was sicherlich wahr ist: Es werden in Dar Es Salaam unglaublich viele Hochhäuser, v.a. Büros, Hotels und 'Luxuswohnungen' gebaut, überall sieht man Baustellen (viele von ausländischen Investoren). Leider besitzt die Stadt aber überhaupt nicht die dafür nötige Infrastruktur. Es gibt ohnehin schon jede Woche mindestens einen Stromausfall und der Verkehr ist in den Rush Hours nur Wahnsinn - zunächst müsste dafür gesorgt werden, dass alle Haushalte mit Strom und fließend Wasser ausgestattet, das Straßen- und Parksystem ausgebaut werden, bevor man riesige Prestigeobjekte in die Höhe zieht...
Zwar profitiert die Infrastrultur von dem blühenden Tourismus, vor allem auf Sansibar, jedoch fließt das Geld häufig gar nicht zu den Einwohner*innen der schönen Insel, sondern geht von dem europäischen Touristen zu der europäischen Hotelbesitzerin, vor allem mit All iclusive Hotels wird den umgebenen einheimischen Geschäften jegliche Chance genommen vom Tourismus zu profitieren. Bloß die Angestellten können vom Lohn profitieren, sie verlassen für den Job häufig ihre weit weg gelegene Heimat.
weitere Gedankenfetzen...
Erfreulicherweise habe ich in Tansania keinen so heftigen Rassismus wie in Südafrika miterleben müssen. Mir ist aber aufgefallen, dass sich häufig Inderinnen und Inder, die dort ebenfalls oft in einer Subkultur leben, gerne von Afrikaner*innen abgrenzen und sich, so war zumindest mein Gefühl, gerne 'besser fühlen' als ihre schwarzen Mitbürger*innen. Die "guten" Jobs in Tanzania haben auch meist indische oder arabische Menschen, woran man eine starke Bildungsungerechtigkeit erkennen kann. Ich hoffe, dass sich diese Schere - nicht nur zwischen Nichtafrikaner*innen und Afrikaner*innen, sonder generell zwischen Arm und Reich in der Zukunft schließt und nicht noch weiter öffnet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen